Die Handballer vom SV 64 Zweibrücken haben in diesem Jahr nach einer fulminanten Saison den Aufstieg aus der Oberliga geschafft und einen vielversprechenden Start in das „Abenteuer Dritte Liga“ hingelegt. Doch Corona hat der Freude über den Erfolg auf vielen Ebenen einen herben Dämpfer verpasst. SV-Trainer Stefan Bullacher spricht im Merkur-Interview über das Wechselbad der Gefühle in Zeiten der Pandemie. Über die Chancen, die Saison noch zu einem sportlich aussagekräftigen Ende zu bringen. Über die Gefahren der langen Pause für die Entwicklung seiner jungen Spieler. Und darüber, welche Dinge er in den letzten Monaten noch mehr zu schätzen gelernt hat.
Herr Bullacher, im Normalfall würden wir im Rückblick auf dieses Jahr vor allem den großen Erfolg – den Drittliga-Aufstieg des SV 64 Zweibrücken – in den Mittelpunkt rücken. Die unglaublich gute Vorsaison und ein normaler Spielbetrieb scheinen nach diesem, von der Corona-Krise geprägten Jahr, gerade aber unfassbar weit weg. Geht es Ihnen auch so?
STEFAN BULLACHER Ja, absolut. Wir waren bis zum Abbruch der Saison Anfang März auf dem Weg, der beste Oberligameister seit der Gründung der RPS-Liga 2002 zu werden und konnten bei den Zuschauerzahlen Rekorde verzeichnen. Noch nie haben uns so viele Fans bei den Heim- und Auswärtsspielen begleitet. Das war atemberaubend. Und plötzlich friert jemand die Handlung ein und alles ist vorbei. Drei Monate später heißt es dann: Herzlichen Glückwunsch zum Aufstieg. Aber keine Fans, kein Finale, keine gemeinsame Feier, keine Emotionen. Das war für mich trotz des Erfolges die traurigste Meisterschaft aller Zeiten.
Zunächst die Supersaison bis ins Frühjahr – dann die Unterbrechung der Runde – trotzdem folgten der Aufstieg und der gelungene Start in das Abenteuer Dritte Liga. Doch plötzlich saßen Sie und das Team in Quarantäne. Zuletzt wurde auch die laufende Spielzeit ausgesetzt. Verläuft das Jahr wie eine Achterbahnfahrt?
BULLACHER Das Wort Achterbahn beschreibt es gut. Mit dem verspäteten Saisonstart habe ich gedacht, die Krise ist bewältigt und wir können endlich richtig Gas geben. Mit den Leistungen konnten wir auch wirklich zufrieden sein. Doch dann bekommst du im Zwei-Wochen-Rhythmus einen Nackenschlag nach dem anderen. Und so sitzen wir wieder seit sieben Wochen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Das ist keine einfache Situation.
Wie sehr zehrt das Auf und Ab an Ihren Nerven?
BULLACHER Wir waren natürlich nach dem tollen Sieg gegen Kirchzell am 10. Oktober alle euphorisch. Wir waren körperlich und spielerisch gut drauf und wollten unseren Lauf ausnutzen. Doch dann mussten wir völlig unerwartet wegen eines Corona-Falls im Team für zwei Wochen in Quarantäne. Danach kam am 30. Oktober der Lockdown der Bundesregierung und wir hatten in Zweibrücken plötzlich keine Trainingsstätte mehr, obwohl wir als Mannschaft des saarländischen Handball-Verbandes als Profiteam eingestuft wurden. Deshalb haben wir uns für den angedachten Re-Start am 21. November an der Sportschule Saarbrücken fitgehalten. Der Re-Start wurde dann erst in den Dezember und später sogar auf den 9. Januar 2021 verschoben. Mittlerweile ist eine Fortsetzung der Saison Anfang Januar im Grunde schon wieder at acta gelegt. Einen neuen Termin gibt es noch nicht. Deshalb hat unser Vorstand in Absprache mit unseren Spielern entschieden, den Trainingsbetrieb vorerst einzustellen. Für mich wurde Kurzarbeit beantragt. Das hinterlässt bei allen Beteiligten Spuren.
Wie ist aktuell die Stimmung in der Mannschaft?
BULLACHER Emotional geht es den Jungs nicht anders als mir. Doch ich mache mir nicht nur Sorgen um die Gefühlslage, sondern auch um die sportliche Perspektive. Dieses Jahr kann für die Entwicklung der Spieler schwerwiegende Folgen haben. Training ist ein ganzjähriger Prozess mit verschiedenen Phasen aus Belastung, Erholung, Wettkämpfen, taktischen oder technischen Schwerpunkten und vor allem körperlicher Weiterentwicklung im Sinne der Verletzungsprophylaxe und der Leistungsfähigkeit. Üblicherweise ist ein Handballjahr mit etwa vierzig Wettkampfspielen und ebenso vielen Trainingswochen getaktet. Dazwischen liegen im Winter und im Sommer zwölf Wochen zur Regeneration oder zum individuellen Aufbautraining. Im Jahr 2020 haben wir lediglich 18 Spiele bestritten und 26 Wochen, also ein halbes Jahr lang, nicht trainiert. Das ist für eine Mannschaft mit vielen jungen Talenten eine Katastrophe.
Fällt der Rückblick auf das Jahr daher ausschließlich ernüchternd aus oder haben Sie dennoch auch die positiven Bilder beim Gedanken an das Jahr im Kopf?
BULLACHER Ich sehe die letzten zweieinhalb Jahre natürlich im Gesamten absolut positiv. Als ich 2018 wieder zurückgekommen bin, mussten wir ja zwangsläufig erst einmal einen Neuaufbau starten. Denn nach dem Abstieg 2016/17 und dem verpassten Wiederaufstieg 2017/18 gab es eine regelrechte Wechselflut. Zehn Spieler hatten den Verein verlassen. Ich habe dem Vorstand damals einen Zweijahresplan vorgelegt, wie wir mit eigenen Talenten wieder den Weg in den Leistungshandball finden können. Der Erfolg gab uns Recht. Heute stehen außer Benni Zellmer, der aber nach neun Jahren schon zum Inventar gehört, und Tim Götz nur Feldspieler im Kader, die schon in der Jugend hier gespielt haben. Das ist ein Ergebnis von vielen Fleißstunden eines großartigen Teams aus Vorstand, Spielern und Fans.
Glauben Sie, dass die Drittliga-Saison wie derzeit zumindest offiziell noch in Aussicht gestellt, Anfang des Jahres fortgeführt werden kann?
BULLACHER Nein, die Saison kann auf keinen Fall im Januar weitergespielt werden, weil zu viele Mannschaften keine Trainingsmöglichkeiten haben, um sich darauf vorzubereiten. Eine Vorlaufzeit von mindestens vier Wochen ist meiner Meinung nach erforderlich.
Denken Sie, dass die Spielzeit in der Mammutliga überhaupt mit sportlicher Aussagekraft zu einem Ende gebracht werden kann?
BULLACHER Im vergangenen Jahr wurde die Saison abgebrochen, nachdem 75 Prozent der Spiele absolviert waren. Um eine sportlich und rechtlich unantastbare Regelung zu finden, entschlossen sich die Gremien zu einer Wertung, bei der es nur Gewinner gab – kurz: Es gab Aufsteiger, aber keine Absteiger. Es ist heute schon klar, dass diese Anzahl an Spielen überhaupt nicht mehr erreicht werden kann. Es würde mir jetzt schwer fallen, in dieser Situation eine andere Regelung gut zu finden.
Bei dieser ständig wechselnden Gefühlslage, dem Rein und Raus aus Training- und Spielbetrieb: Ab welchem Moment würden Sie sagen: Das war’s jetzt mit der Saison, das macht einfach keinen Sinn mehr?
BULLACHER Wenn im Februar nicht alle Mannschaften wieder vollumfänglich trainieren können, macht ein Neustart, der dann später als im März stattfinden müsste, für mich keinen Sinn mehr.
Derzeit ist der Amateursport wieder lahmgelegt. Können Sie diese Entscheidung von Bund und Ländern nachvollziehen?
BULLACHER Ich bin kein Virologe und somit kein Fachmann. Das sind sicherlich ganz schwere Entscheidungen in ganz schweren Zeiten. Ich möchte aktuell mit keinem Politiker tauschen wollen. Ich maße mir nicht an, das zu bewerten.
Hätten Sie sich mehr Augenmaß für Vereine gewünscht, die wie der SV 64 auf der Grenze zwischen Amateur- und Leistungssport stehen? Gerade, was Trainingsmöglichkeiten betrifft. Vor allem die in den Bundesländern unterschiedlichen Auslegungen scheinen nicht immer nachvollziehbar.
BULLACHER Ja absolut, ich hätte mir eine klare Vorgabe der Bundesregierung gewünscht, aus der unmissverständlich hervorgeht, welche Ligen zum Profibereich gezählt werden und welche nicht. Die Empfehlungen des Deutschen Olympischen Sportbundes und des Deutschen Handballbundes hatten keinerlei Entscheidungseinfluss bei den Landesregierungen. So ist aktuell ein unlösbarer Gordischer Knoten entstanden.
Wie kann der Verein die restliche Saison, wie aber auch die kommende Spielzeit verlässlich planen – personell und in finanzieller Hinsicht?
BULLACHER Finanziell haben natürlich die ausgefallenen Heimspiele, das Stadtfest und andere Veranstaltungen eine Lücke hinterlassen. Deshalb laufen im Hintergrund viele Anstrengungen, um diese Saison unbeschadet zu bewältigen. Dazu tragen aktuell auch die Spieler und das gesamte Trainerteam im Verein bei. Alle gehen verständnisvoll mit dieser Situation um. Die personellen Planungen mit den Spielern und mir als Trainer sollen jetzt im Dezember mit ersten Gesprächen anlaufen. Da wird sich im Januar sicher ein Zukunftsbild abzeichnen.
Gibt es beim SV 64 Zweibrücken Existenzängste? Die Sorgen auch bei Sponsoren, Partnern werden in diesen wirtschaftlich unsicheren Zeiten wahrscheinlich nicht kleiner.
BULLACHER Eindeutig nein. Der Verein lebt nicht auf Pump und macht keine Schulden. Da werden keine Dummheiten gemacht. Trotzdem haben wir in den vergangenen Jahren immer eine sportlich gute Truppe zusammenstellen können. Da mache ich mir keine Sorgen.
Kann man aus dieser Krise irgendetwas Positives mitnehmen oder etwas daraus lernen?
BULLACHER Ich durfte unglaublich viel Zeit mit meiner Familie verbringen. Vor allem an den Wochenenden. Meine Frau Dunja und ich waren viel mit dem Fahrrad oder beim Wandern in der Region unterwegs. Wir haben nochmal ganz neu erfahren, wie lebenswert es in Rheinland-Pfalz und dem Saarland ist. Einfach schön.
Wenn Sie das Jahr 2020 in einem Wort oder einem Satz umschreiben müssten...?
BULLACHER Nach der Erstbesteigung des Mount Everest 1953 sagte Sir Edmund Hillary „Es ist nicht der Berg, den wir bezwingen – wir bezwingen uns selbst“. Ich denke jeder muss sich seinen Aufgaben stellen und das Beste daraus machen. Dann bleibt auch dieses Jahr in guter Erinnerung.
Sie haben an Weihnachten einen sportlichen Wunsch für das Jahr 2021 frei. Welcher wäre das?
BULLACHER Normalität!